Was hat Ihr Chronotyp mit Ihrer Leistungsfähigkeit und Kreativität zu tun?
Mehr als Sie denken.
Vielleicht haben Sie sich schon einmal darüber geärgert, dass Ihr Kollege bereits morgens um 8 Uhr voller Tatendrang am Rechner sitzt oder Ihr Partner schon vor dem Frühstück fröhlich ein Liedchen pfeift, während Ihnen die Müdigkeit noch in den Knochen sitzt. Nichts läge Ihnen früh am Morgen ferner als Fröhlichkeit und Tatendrang. Viel lieber hätten Sie noch eine Runde geschlafen, aber die Anforderungen des Lebens warten eben nicht, bis auch „Eulen“ bereit dafür sind.
Dass es Morgen- und Abendtypen und chronobiologische Rhythmen gibt, weiß man seit den 1960er Jahren. Die moderne Arbeitswelt hat aber bis heute kaum darauf reagiert. Noch immer fängt für die meisten Menschen der Arbeits- oder Schultag sehr früh an. Zu dieser Zeit ist für ausgeprägte „Eulen“ eigentlich noch Nacht. Auch der Tagesablauf berücksichtigt kaum die mit chronobiologischen Rhythmen einhergehende unterschiedliche Leistungsfähigkeit.
Unsere inneren Uhren, Taktgeber unseres Lebens
Im Normalfall nehmen wir unsere inneren Uhren kaum wahr. Erst wenn wir gegen sie leben, bekommen wir die Auswirkungen zu spüren. Wo liegt nun aber unsere innere Uhr? Gibt es gar mehrere innere Uhren und wie arbeiten sie im Laufe des Lebens?
1972 konnten Wissenschaftler den Ort der biologischen Uhr im menschlichen Gehirn lokalisieren. Zwei stecknadelkopfgroße Trauben von Nervenzellen, genannt suprachiasmatischer Nucleus (SCN) bilden die Schaltzentrale. Sie liegt oberhalb der Kreuzung der Sehnerven. Die vom Auge wahrgenommenen Lichtreize werden dort verarbeitet und zur Zirbeldrüse weitergeleitet.
Das System aus SCN und Zirbeldrüse beeinflusst durch die Ausschüttung von Hormonen unter anderem den Schlaf-Wach-Rhythmus, die Körpertemperatur, den Blutdruck und verschiedene Stoffwechselvorgänge. Der SCN überwacht und steuert auch die in den Körperzellen vorhandenen Billionen Uhren, die miteinander zu einem hochkomplexen Räderwerk verbunden sind und unseren Tag rhythmisch gestalten.
Das molekulare zirkadiane Uhrwerk in den Zellen besteht aus einem Netz von Genen und Proteinen, die sich gegenseitig aktivieren oder abschalten und somit die Funktion unserer Organe und die Biochemie der Zellen beeinflussen.
Was es mit „Eulen“ und „Lerchen“ auf sich hat
Sind Menschen einfach dem Hell-Dunkel-Rhythmus unterworfen, gibt es noch andere Taktgeber und ist jeder Mensch gleich getaktet?
Dazu wurden im oberbayerischen Andechs, sonst eher bekannt für seine Klosterbiere, in den 1960er und 70er Jahren bahnbrechende chronobiologische Versuche durchgeführt. Auch wenn es schon Vermutungen zum Vorhandensein innerer Uhren gab, erst in Andechs wurden die inneren Uhren am „Subjekt“ erforscht, nämlich an Menschen und Tieren.
Dort befand sich für mehrere Jahrzehnte eine Außenstelle des Max-Planck-Institutes. In einem Bunker initiierte und leitete der Verhaltensphysiologe Jürgen Aschoff mit einem kleinen Team ein chronobiologisches Experiment. Freiwillige Probanden lebten hier teilweise mehrere Wochen ohne Kontakt nach außen und jegliche Hinweise auf die Tageszeit. Bei den meisten Teilnehmern pendelte sich der innere Rhythmus auf einen 25-Stunden-Tag ein, bei anderen Teilnehmern hatte der innere Tag dagegen nur 23 Stunden.
Die Basis für die unterschiedlichen Chronotypen war gefunden.
Beim Frühtyp „Lerche“ geht die innere Uhr vor und beim Spättyp „Eule“ geht sie nach. Unsere innere Uhr entspricht also nicht genau dem irdischen Tag von 24 Stunden. Damit sich unsere inneren Uhren auf den 24-Stunden-Tag einschwingen können, braucht es Zeitgeber, die die Testpersonen nicht hatten. Der stärkste Zeitgeber ist das Licht. Aber auch soziale Reize, wie andere Menschen, Mahlzeiten und ein geregelter Tagesablauf sind starke Zeitgeber.
Der Chronotyp ist vor allem genetisch bedingt, ändert sich etwas über die Lebensspanne und kann nicht komplett verändert werden. Dennoch halten sich hartnäckig einige „Volksweisheiten“ wie: „Am Abend wird der faule fleißig“ oder „Morgenstund hat Gold im Mund. Wer mit dem ersten Hahnenschrei quietschfidel aus dem Bett springt und sich sofort den Herausforderungen des Tages stellt, dem wird Respekt gezollt. Der Morgenmuffel vom Typ „Eule“, der seine volle Leistungsfähigkeit erst am späten Vormittag abrufen kann, gilt schnell als Faulpelz.
In Europa tendiert die Mehrheit der Menschen eher zum Typ „Eule“. Aber natürlich gibt es nicht nur extreme Früh- und Spättypen, sondern auch Menschen, bei denen der Chronotyp nur moderat ausgeprägt ist. Jeder sollte nicht nur seinen eigenen Chronotyp kennen, sondern auch den der mit ihm zusammenlebenden Menschen. So können einige Konflikte durch besseres Verständnis vermieden werden.
Wer einen Online-Test zur Bestimmung seines Chronotyps durchführen möchte, kann dies hier kostenlos und anonym tun: https://www.cet-surveys.com
Ich verrate Ihnen hier, dass mein Ergebnis bei 51 Punkten lag. Damit bin ich der gut angepasste Zwischentyp mit einer leichten Tendenz zur „Eule“.
Mittlerweile wurde an der Charité auch ein Bluttest zur Bestimmung der Phasenlage endogener Rhythmen entwickelt. Der Test beruht auf der Aktivität von 12 Biomarker-Genen.
Unternehmen sollten sich – auch im eigenen Interesse – für den Chronotypus ihrer Mitarbeiter interessieren
Auch wenn der Schlaf-Wach-Rhythmus der direkt wahrnehmbare Indikator für den Chronotyp ist, so gibt es weitere damit zusammenhängende Auswirkungen mit Bedeutung für die individuelle Leistungsfähigkeit.
Auch die Ausschüttung der Hormone und Neurotransmitter erfolgt rhythmisch und je nach Chronotyp zu unterschiedlichen Zeiten. Die Hormone und Neurotransmitter (Botenstoffe der Nerven) entscheiden mit darüber, wann wir leistungsfähig sind, wie wir gelaunt sind und wann wir müde werden.
Nehmen wir den Morgen als Ausgangspunkt, so startet die Nebennierenrinde den Tag mit einer kräftigen Cortisolausschüttung. Bei Lerchen liegt dieser Zeitpunkt deutlich früher als bei Eulen. Das Cortisol aktiviert den Stoffwechsel und erhöht Puls, Blutdruck und Körpertemperatur. Fehlt dieser Cortisolschub in der Früh, weil die innere Uhr noch auf Schlafen eingestellt ist, so bleiben Laune und Leistungsfähigkeit erst einmal am Boden.
Die Helligkeit am Morgen und insbesondere frühe Sonnenlichtexposition kurbelt die Produktion des „Wohlfühlhormons“ Serotonin an, das außerdem als Vorstufe des Melatonins am Abend benötigt wird. Besonders müde „Eulen“ sollten deshalb am Morgen eine ordentliche Portion Licht tanken, um ihre innere Uhr vorzustellen. Wenn dies aufgrund des frühen Arbeitsbeginns nicht möglich ist, kann eine Tageslichtlampe auf dem Schreibtisch helfen, besser in den Tag zu kommen. Die Leuchtstärke sollte hier mindestens 2.500 Lux mit weißer Farbtemperatur betragen.
Generell spielt das richtige Licht zur richtigen Tageszeit und auf den Chronotyp abgestimmt eine große Rolle für die Leistungsfähigkeit. An den meisten Arbeitsplätzen verbringen die Mitarbeiter den Tag eher in chronobiologischer Finsternis, da in vielen Büroräumen die Lichtstärke selbst an Fensterplätzen gerade mal 400 Lux erreicht.
Monitore aller Art emittieren Blaulicht. Das ist für die Wachheit am Tage günstig, behindert aber am Abend die Melatoninausschüttung. Die Beantwortung von E-Mails kurz vor dem Zubettgehen ist deshalb keine gute Idee für schnelles Einschlafen.
Zellen, Hormone und Organe haben jeweils ihren eigenen Rhythmus, der auch die Zeiten hoher Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit bestimmt. Es lohnt sich also, die jeweilige Phasenlage der eigenen inneren Uhren zu kennen, um nicht nur den besten Zeitpunkt für herausfordernde Aufgaben zu finden, sondern auch Stimmung, Motivation und die Lebensqualität verbessern sich dadurch.
Besonders bei Schichtarbeit ist der Chronotyp von großer Bedeutung. Lerchen sollten keine Spät- oder Nachtschichten machen müssen und Eulen keine Frühschicht. Nachtschichtarbeiter arbeiten nicht nur gegen ihre innere Uhr, der Schlaf zu chronobiologisch falscher Zeit enthält auch deutlich weniger Tiefschlafphasen, ist also weniger erholsam und regenerativ.
Chronobiologische Erkenntnisse können helfen, Schichtpläne ergonomischer zu gestalten, zum Beispiel:
– Möglichst nicht mehr als drei aufeinanderfolgende Nachtschichten
– Ein Freizeitblock ist besser als einzelne freie Tage
– Vorwärts rotierende Schichtsysteme: Frühdienst– Spätdienst – Nachtdienst
– Gutes Lichtmanagement
Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung müssen auch die Kernthemen Schlaf und Chronobiologie beinhalten.
Damit Gesundheitsexperten und Beauftragte für die betriebliche Gesundheitsförderung schnell ihr Wissen zu Schlaf und Chronobiologie vertiefen können, um die richtigen Maßnahmen einzuleiten und ihre Klienten kompetent zu beraten, haben wir in der Vita-Pad Akademie den Online-Kompaktkurs Schlaf + Chronobiologie entwickelt. Hier erfahren Sie mehr darüber.
Ob im betrieblichen Kontext oder im persönlichen Bereich:
Leben und Arbeiten nach den eigenen chronobiologischen Rhythmen sorgt nicht nur für das Plus an Leistungsfähigkeit, auch Lebensqualität und Wohlbefinden erhöhen sich beträchtlich. Nicht zuletzt wird auch das Risiko für eine ganze Reihe von Erkrankungen deutlich vermindert.